So wird politische Bildung zum Spaziergang

Demokratie-Ausstellung in der Seestadt endet

Wer in den vergangenen Monaten einen Spaziergang entlang der Seestadt-Promenade in Aspern unternommen hat oder im Sommer eine Runde im See geschwommen ist, konnte sich ganz nebenbei auch politisch bilden und Wissenswertes über die österreichische Verfassung erfahren. Möglich macht das die Ausstellung „Was hat die Verfassung mit mir zu tun?“, die seit Sommer 2022 am Bauzaun beim asperner See angebracht und noch bis einschließlich 6. März zu sehen ist.

Der Schau vorangegangen waren eine von Adina Seeger kuratierte Ausstellung des Jüdischen Museums Wien zu Hans Kelsen und zur österreichischen Bundesverfassung sowie eine Graphic Novel von Pia Plankensteiner, die zur Ausstellung im MANZ Verlag publiziert wurde. Zentraler Bezugspunkt für die Umsetzung des Projekts war ein intensiver Austausch mit den in der Seestadt aktiven Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit und mit zahlreichen jungen Menschen, um deren Interessen und Themen aufzugreifen und in die Ausstellung zu intergieren. Daraus entstand ein großflächiger Comicstrip, der direkt am Seeufer niederschwellig Wissenswertes zu Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaat zu vermittelt. Anlässlich der Finissage luden die Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 und das Jüdische Museum Wien (JMW) zum Pressegespräch. Mit dem Wiener Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr und der Demokratieforscherin Tamara Ehs sprachen JMW-Direktorin Barbara Staudinger und Wien 3420-CEO Gerhard Schuster über ihre Ziele und Learnings aus der gemeinsamen Initiative, geplante Folgeprojekte und über das Potenzial politischer Bildung im öffentlichen Raum.

Mitbestimmung als Menschenrecht

Fotocredit: Strumberger-Sellner

Wussten Sie zum Beispiel, dass Wien im vergangenen Jahr um 50.000 BewohnerInnen gewachsen ist, die Anzahl der Staatsbürgerschaften im Vergleich dazu jedoch stagniert? Und dass nur 40 Prozent der SeestädterInnen bei der Bundespräsidentenwahl 2022 wahlberechtigt waren? Eine Tatsache, die Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr bedenklich stimmt: „Wenn immer weniger Menschen wählen gehen dürfen, besteht die Gefahr eines Demokratiedefizits. Umso wichtiger ist es, gerade jungen Menschen zu zeigen, dass sie auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft in diesem Land Möglichkeiten haben, sich aktiv einzubringen und ihre Meinung zu sagen – beispielsweise durch diverse Beteiligungsprozesse und Petitionen.“

Aber warum findet eine Ausstellung über die Demokratie und Verfassung gerade die Seestadt statt und warum an einem Bauzaun? Diese Frage beantwortete JMW-Direktorin Barbara Staudinger: „Für jedes Museum ist es wichtig, zu den Menschen zu gehen und nicht darauf zu warten, dass die Menschen zu uns kommen. Wir müssen in die Communities reingehen, um die Menschen aufzuklären und zur Demokratiebildung beizutragen. Im Fall der Seestadt passierte das quasi im Vorbeischwimmen.“

Auch 3420-CEO Gerhard Schuster betonte die Bedeutung demokratischer Werte und der Verfassung als Basis für ein friedliches Zusammenleben. „Die Ausstellung direkt am See macht es für alle BesucherInnen einfach, über politische Themen ins Gespräch zu kommen und sich darüber Gedanken zu machen, wie man selbst in einer Demokratie mitbestimmen kann. Als bestes Beispiel dafür kann man die zahlreichen Beteiligungsprozesse innerhalb der Seestadt anführen, die es BewohnerInnen möglich machen, einen Stadtteil aktiv mitzugestalten. Diese Ausstellung ist uns also nicht nur ein gesellschaftspolitisches Anliegen, sondern auch beispielhaft für unsere Arbeit.“

Jugendliche sind am Wort

Auch in die Gestaltung der Ausstellung wurden Jugendliche miteinbezogen. Die in den Gesprächen mit den Jugendlichen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen und Lebensumstände herausgearbeiteten Fragen lauteten beispielsweise: Was bedeuten Meinungs- und Religionsfreiheit? Wie ist das österreichische Wahlrecht geregelt? Wie entwickelten sich Lesben- und Schwulenrechte? Wie schützt der Rechtsstaat vor Diskriminierung?

Dass sich Jugendliche entgegen oft anderslautender Meinungen sehr wohl für Politik interessieren, unterstreicht auch die Demokratieforscherin Tamara Ehs: „Unsere Studien belegen, dass Jugendliche außerschulische Bildungsangebote wie Erstwählerworkshops und unkonventionelle Vermittlungsangebote besonders schätzen. Außerdem geben sie in Umfragen an, dass sie gern noch mehr über ihre Rechte als Bürger lernen wollen. Allerdings ist ihnen auch leidvoll bewusst, dass sie demographisch und rechtlich im Nachteil sind: Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gibt es unter den Jungen überdurchschnittlich viele Nicht-Wahlberechtigte. Das liegt auch am strengen Staatsbürgerschaftsrecht, das selbst viele hier Geborenen ausschließt.“

Eine Ausstellung in Taschenform

Am 6. März endet die Ausstellung in der Seestadt, doch damit ist sie im wahrsten Sinn des Wortes nicht Geschichte, wie 3420-CEO Gerhard Schuster bei der Pressekonferenz verkündete: „Ein Teil der Ausstellung wird recycelt und zu Taschen in verschiedenen Größen verarbeitet.“ Außerdem plant das Jüdische Museum Wien aufgrund des großen Interesses, die Ausstellung an weiteren Standorten in Wien zu zeigen, um „viele Menschen in anderen Teilen Wiens für unsere Verfassung, für Demokratie und Rechtsstaat begeistern zu können“.

Wer die Ausstellung in der Seestadt noch einmal besuchen möchte, hat am kommenden Sonntag, den 28. Februar, die Gelegenheit dazu. Alle Infos dazu gibt es hier.