Liebe geht durch die Nadel

Es gibt Termine im Leben einer Redakteurin, die sind unvergesslich. Jener Termin im Tattoo-Werk vor ein paar Wochen zählt mit Sicherheit dazu. Nicht zuletzt deshalb, weil ich ihn für immer im Herzen besser gesagt ALS Herz tragen werde. Aber alles der Reihe nach. „Ich hätte gern dasselbe Tattoo wie du, Mama!“. Als ich diese Worte meiner 18-jährigen Tochter hörte, stellte ich mich zuerst einmal taub – in der Hoffnung, es sei nur wieder so eine seltsame Spinnerei eines Teenies, die ebenso schnell vergeht wie das wöchentliche Vorhaben, ihr Zimmer aufzuräumen. Doch falsch gedacht! (also das mit dem Tattoo, die Sache mit dem Zimmer ist eine andere Geschichte). Über mehrere Wochen wurde die Idee eines Mutter-Tochter-Tattoos immer konkreter und schließlich musste ich mich geschlagen bzw. gestochen geben. Immerhin ist es ein großer Liebesbeweis, wenn sich die eigene Tochter für ihr erstes Tattoo gemeinsam mit der Mama unter die Nadel legt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich Nadeln zirka so verlockend finde wie Spinnen oder Steuererklärungen. Dementsprechend sorgfältig war ich bei der Wahl des Studios, in dem meine bis dato nicht beschriftete Haut verziert werden würde. Bei meiner Recherche im Internet wurden zahlreiche Studios und dazugehörige TätowiererInnen hochgelobt, doch ein Name fiel dabei auffallend häufig: Tattoo-Werk. Und wie es der glückliche Zufall so will, befindet sich dieses Tattoo-Werk ausgerechnet in der Donaustadt. Somit kommen Sie nun in den Genuss, meine Erfahrungen „hautnah“ mitzuerleben. Bereits der Kontakt via Facebook (für die jüngeren LeserInnen zur Erklärung: das ist so was wie Snapchat und Instagram für alte Menschen) war sehr freundlich, nett und zuvorkommend. Ein gutes Zeichen. Apropos Zeichen: Die Wahl des Tattoos fiel nach langem Hin und Her auf ein selbst gezeichnetes kleines Herz, das wir uns beide stechen lassen wollten. Betonung liegt auf KLEIN. Vom ursprünglich geplanten Schriftzug haben wir uns nach reiflicher Überlegung verabschiedet. Wie froh ich darüber noch sein werde, zeigte sich am Tag X.  

Als wir im Empfangsbereich vom Tattoo-Werk am Genochplatz 11 standen, überkam mich schlagartig das Gefühl, ich hätte meine Badesachen vergessen. Grund dafür waren die erhaltenen Fliesen des alten Tröpferlbads, das seit neun Jahren als Heimat des Kultstudios dient. Die Wände zierten zahlreiche Bilder von Tattoos samt ihren KünstlerInnen, und aus einer Vitrine strahlten uns glänzende Piercings in allen Variationen entgegen, die förmlich schrien: „Dein Bauchnabel braucht mich!“. Ich konnte der Versuchung, mir einen Nasenring zu stechen, nur mit Müh und Not widerstehen, und steuerte zusammen mit meiner Tochter den Herrn am Empfang an. „Freundlichkeit gibt’s hier also auch offline“, dachte ich mir, als ich den Fragebogen ausfüllte, der mich meinem Herzenswunsch näherbrachte. Da sowohl meine Tochter als auch ich knapp volljährig sind, erübrigte sich die Sache mit der Unterschrift von Erziehungsberechtigten. Die Wartezeit verbrachten wir auf einer gemütlichen Couch mit Blick auf besagte Vitrine. Gerade, als ich überlegte, ob mich so ein Augenbrauenpiercing nicht doch vielleicht zehn Jahre jünger machen würde, wurden wir aufgerufen. Unsere Tätowiererin hieß Nelia und war mir auf Anhieb sympathisch. Sie brachte uns in den großzügigen Tätowier Raum, in dem bereits zwei Männer gemütlich lagen, die offensichtlich nicht zum ersten Mal dort zu Gast waren. Nach dem Gesichtsausdruck eines der Kunden zu schließen, war Tätowiert-Werden die reinste Entspannung. Oder sein Rücken hatte mittlerweile eine solche Hornhaut, dass ihn die Nadel nur noch kitzelte. Wie auch immer. Nelia erklärte uns genau das Prozedere, während sie alle Instrumente (nennt man das so?) gründlich reinigte. Nebenbei erzählte sie uns, dass sie eben schon ein gemeinsames Tattoo stechen durfte – von Schwiegertochter und Schwiegermutter! Ich dachte immer, Porträts von seinem Partner auf dem Oberarm sind schräg, aber das toppte alles. „Gut, wenn sich ältere Damen hier ohne Probleme tätowieren lassen, kann ich das auch“, dachte ich – und ließ meiner Tochter den Vorrang. Schließlich musste ich ja Fotos machen. Bevor es losging, wurde die Stelle fürs Tattoo gründlich gereinigt. Überhaupt wird Hygiene im Tattoo-Werk großgeschrieben. Auch in diesem Punkt haben die Bewertungen im Internet nicht zu viel versprochen. Doch halt – da fehlte was! Wir brauchten ja noch das besagte Herz. Dass dies die schwierigste Hürde beim ganzen Prozedere darstellen würde, hätte ich bei meinen Malkünsten eigentlich ahnen können. Nach geschätzten 278 Versuchen gelang mir schließlich ein Herz, das auch wie ein solches aussah. Vorsichtig gab Nelia das Motiv auf die gewünschte Stelle am Unterarm meiner Tochter und drückte es fest. Als sie es abzog, sah es schon fast so aus wie ein fertiges Tattoo. Mir persönlich hätte das ja gereicht, aber meine Tochter wollte mehr. 

„Bereit? Dann fange ich jetzt an. Wenn es unangenehm ist, bitte jederzeit sagen“, beruhigte Nelia meine Große, doch ihrem völlig entspannten Gesichtsausdruck nach zu schließen, war das ebenfalls nicht ihr erster Besuch beim Tätowierer. Kein Zucken, kein Jammern, stattdessen Fotos vom Prozedere, um es ja nicht zu vergessen (finde den Fehler). Langsam ließ auch meine Nervosität nach – wenn nur die Sache mit der Nadel nicht wäre. Wenige Minuten später konnten wir das Mini-Herz bewundern. „Wirklich toll geworden“, musste ich neidlos anerkennen und wollte schon Richtung Ausgang schleichen, als Nelia meinte: „Jetzt bist du dran!“ Mist! 

Die folgenden Minuten fasse ich wie folgt zusammen: Mich tätowieren zu lassen wird zwar ziemlich sicher nicht mein liebstes Hobby, aber Nelia war so nett, vorsichtig und einfühlsam, und das Ergebnis ist so schön, dass ich mir gut vorstellen kann, irgendwann wiederzukommen. Und wer weiß, vielleicht wird‘s ja doch noch was mit dem Bauchnabelpiercing… 

Infokasten: 

Das Tattoo-Werk gibt es seit neun Jahren. Aktuell sind 17 Tätowierer buchbar. Zirka die Hälfte davon sind Stammtätowierer – der Rest Gasttätowierer. Das Gebäude am Genochplatz 11 ist das ehemalige Tröpferlbad, das denkmalgeschützt ist. Die Kunden des Tattoo-Werk kommen aus ganz Österreich und teilweise sogar aus dem Ausland. Die Wartezeiten variieren je nach Tätowierer. Bei manchen dauert es zwei bis vier Wochen bis zu einem Termin, bei anderen wiederum zwei bis drei Monate. Einiger Tätowierer sind z.B. nur eine Woche pro Monat im Tattoo-Werk. Tätowiert werden Personen ab 16 Jahren mit Einverständniserklärung eines Erziehungsberechtigten. Sonst ab 18 Jahren. Infos gibt’s unter https://www.tattoo-werk.com/