Die Seestadt hört nie auf zu lernen
Im Interview mit der dbz erzählt Ingrid Spörk, Pressesprecherin der Wien 3420 aspern Development GbmH, über Ideen und Ziele von aspern Seestadt.

Foto: Luiza Puiu
Die Seestadt ist noch immer für viele DonaustädterInnen ein gesonderter Teil des Bezirks. Wie sehen Sie das?
Die Seestadt war von Beginn an als Teil der Donaustadt und als Teil von Aspern gedacht und geplant. Um das zu betonen, steht Aspern in unserem Wording immer vorne. Die Marke heißt also eigentlich richtig „aspern Seestadt“ und nicht „Seestadt Aspern“. Ankommen, wachsen und verbinden war immer unser Ziel. Durch den Ausbau in alle Himmelsrichtungen und insbesondere den Verkehrsknoten Aspern Nord kommen wir dem immer näher.
Welche Rolle spielt Aspern Nord in der Zukunft?
Der Bahnhof am Nelson-Mandela-Platz soll die Donaustadt noch besser verbinden und vernetzen. Hier gibt es schon den Knotenpunkt für sechs Buslinien, die U-Bahn und Schnellbahn. Zwei Bim-Linien kommen noch dazu. Die Linie 27 wird die Vernetzung forcieren, deshalb ist es so wichtig, dass sie im Herbst 2025 einfährt.
In der Seestadt sind nur wenige Autos unterwegs? Wie kommt das?
Die Seestadt war immer schon als autoarmes Stadtentwicklungsgebiet geplant. Autoarm nicht autofrei! Einerseits sind wir ein für die Donaustadt wichtiger Wirtschaftsstandort. Andererseits leben und arbeiten hier natürlich Menschen, die ein Auto besitzen. Aber unsere Bemühungen und Pläne haben zum Ziel, den motorisierten Verkehr sehr gering zu halten und ruhenden Verkehr weitestgehend von der Oberfläche wegzuholen. Unsere Sammelgaragen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Wie sehen diese Sammelgaragen konkret aus?
Die Hochgaragen, die immer mehrere Baufelder versorgen, sind ein innovatives Konzept der Seestadt – und für uns fast so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau. Sie schaffen Freiraum an der Oberfläche, verkürzen Fahrtwege und sorgen gleichzeitig bewusst für Gehwege, damit man am Weg von seinem Auto zur Wohnung oder zum Einkaufen auch mal Nachbarn trifft und sich mit anderen Menschen unterhalten kann. Die Idee ist, dass der Weg von der Wohnung zum eigenen Auto im Durchschnitt so lange ist wie jener zu einem öffentlichen Verkehrsmittel und man sich denkt: ‚Dann kann ich gleich den Bus oder die Bim nehmen, anstatt ins Auto einzusteigen.‘ Kurz gesagt: Wir wollen es den Leuten möglichst einfach machen, auf das eigene Auto zu verzichten, ohne es ihnen gleichzeitig verbieten zu wollen.
Die Garagen sind aber nicht nur für Autos gedacht, oder?
Nein, sie sollen zunehmend auch ein Umschlagplatz für zentrale Angebote wie Fahrrad- oder Car-Sharing sein. Die Ladestationen sind natürlich wichtig – und vor allem sind die Erdgeschoßzonen für Impuls-, Kultur- oder Nachbarschaftsnutzungen reserviert. Beispielsweise gibt es in Seestadt-Garagen schon jetzt einen Nachbarschaftsraum, Künstlerstudios oder die inzwischen sehr bekannte VHS Kulturgarage.
Viele BewohnerInnen der Seestadt loben die vielen Initiativen vor Ort. Was wird hier geboten?
Unter anderem ist hier das Stadtteilmanagement sehr aktiv. Beispielsweise mit Nachbarschaftscafés, Picknick im Park oder seit neuestem dem „Stiegencafé“. Es geht um das Kennenlernen – dadurch entstanden von Beginn weg sehr spannende Initiativen. Das Stadtteilmanagement ist auch die Anlaufstelle für Menschen, die neu in die Seestadt ziehen und eben diese Angebote nützen können, um sich hier bestmöglich einzuleben.

Welche Rolle spielt aspern Seestadt hinsichtlich Wirtschaft?
Wir haben den expliziten Auftrag, Wirtschaft anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen, und das gelingt schon sehr gut. Dadurch verkürzen sich die Arbeitswege für viele Menschen in der Donaustadt. Es haben inzwischen auch viele SeestädterInnen direkt vor Ort einen Arbeitsplatz. Die können die Stadt der kurzen Wege dann am unmittelbarsten nutzen. Man kann Wirtschaft nicht ganz ohne motorisierten Verkehr denken, aber man kann gute Rahmenbedingungen schaffen, indem man Unternehmen zum Beispiel Parkplätze und Ladezonen gebündelt anbieten, was beispielsweise im Gewerbehof der Wirtschaftsagentur perfektioniert wurde.
Apropos kurze Wege: Wie wichtig ist die Stadtstraße für die Seestadt?
Die Stadtstraße ist vor allem wichtig, weil die Wirtschaft in der Donaustadt sie braucht und der Bezirk heute schon annähernd die Bevölkerungsgröße von Linz hat. Aber grundsätzlich ist sie nur ein Teil eines leistungsfähigen Verkehrsinfrastrukturpakets, das in der Region schon vor Jahrzehnten geplant wurde. Davon ist die U2 schon seit 2013 in Betrieb, den Umsteigebahnhof mit den ÖBB gibt es seit 2018 und der Schienentakt wird weiter verbessert. Da rund 60% der Seestadt laut UVP erst gebaut werden dürfen, wenn mit der Stadtstraße auch die Anbindung an das hochrangige Straßennetz hergestellt ist, ist sie für uns natürlich wichtig.
Aber angefangen vom reduzierten Stellplatzregulativ bis zum Gratis-Leihradsystem SeestadtFLOTTE haben wir konsequent an der Erreichung unseres „Modal Split“-Ziels gearbeitet. Das lautet 40 Prozent aller Wege mit öffentlichem Verkehr, 40 Prozent zu Fuß oder mit dem Rad, 20 Prozent im motorisierten Individualverkehr.
Wie nah ist die Seestadt an diesem Ziel?
Schon ziemlich nah. Auch der private PKW-Besitz liegt mit rund 255 Privat-PKW pro 1.000 Einwohner weit unter anderen Flächenbezirken und schon heute etwa bei den Bezirken innerhalb des Gürtels. Car-Sharing spielt zunehmend eine Rolle, dafür stellt sich die Seestadt immer besser auf. Wir bekommen oft das Feedback, dass jemand mit Auto hergezogen ist, es dann aber verkauft hat, weil er es nicht mehr braucht. Das sind die Erfolge, die unsere Strategie bestätigen.
Im Seeparkquartier wurde bereits versiegelter Boden wieder aufgerissen, um mehr Grünflächen zu schaffen. Warum erst jetzt?
Das Seeparkquartier wurde als Businessquartier an der U-Bahn-Station konzipiert und hat nur 20.000 Quadratmeter öffentlichen Raum. Es ist heute schon ein Bereich, durch den pro Tag tausende Menschen gehen – sozusagen der „Trampelpfad“ der südlichen Seestadt. Wenn alle Gebäude fertig sind, steigt die Frequenz weiter. Hier gibt es Veranstaltungen, inzwischen einen Wochenmarkt und Schanigärten. Deshalb war der ursprüngliche Zugang der Planer, diesen Bereich für unterschiedlichste Nutzungen möglichst offen, neutral und barrierefrei zu gestalten, mit vielen Platanen als Schattenspender und Brunnen in der Fußgängerzone, grünen Innenhöfen und dem großen Seepark in zwei-drei Minuten Gehentfernung. Das Problem ist, dass die Bäume noch viele Jahre brauchen werden, um ihre schönen großen Kronen auszubilden und viele Seestädter sich mehr Grün in Augenhöhe wünschten. Deshalb wurde beschlossen, nicht auf temporäre Lösungen zu setzen, sondern gleich einen großen Entwicklungsschritt zu setzen und auch mehr Wasserelemente für die leider rasch heißer werdende Stadt zu schaffen.
Also ist man bereit, aus Fehlern zu lernen?
Natürlich! Stadtentwicklung hat sich ebenso verändert wie die Erwartungshaltungen der Menschen. Die Planung des Seeparkquartiers war zum Zeitpunkt, als der öffentliche Raum umgesetzt wurde, gut sieben Jahr alt. Ja, man hätte damals schon mehr Grün planen können, aber es gab ursprünglich eben ein anderes Nutzungskonzept dafür. Die Kritik der Menschen, die hier leben und arbeiten, wird gehört, ernst genommen und umgesetzt. Nichts, was man jetzt sieht, ist außerdem der Endzustand. Wir arbeiten an einer lernenden Stadt, die sich ständig verändert und entwickelt.